• Die Stärke schwacher Bindungen

    Twittern

    Bei Micoblogging-Diensten wie Twitter.com können sich User ein Netzwerk von Personen aufbauen, deren Nachrichten sie abonnieren möchten, das sog. Following. Viele Nutzer folgen auch Personen, die sie außerhalb von Twitter gar nicht persönlich kennen. Ausgerechnet in diesen schwachen Verbindungslinien zwischen unbekannten Personen liegt eine Stärke von Twitter, weil auf diesen Wegen neue, innovative Informationen zu einem gelangen.

    Weil starke Bindungen (z.B. mit Freunden oder Arbeitskollegen) oft untereinander deckungsgleich sind (selber Bekanntenkreis) gelangt auf diesen Wegen nur wenig neue Information zu jemandem. Dahingegen haben schwache Bindungen, wie man sie auf Twitter leicht unterhalten kann, viel mehr Potenzial für Innovationen, weil auf diesem Wege neue Impulse und andere Sichtweise zu einem gelangen. Diese soziologische Theorie von der „Stärke schwacher Bindungen“ wurde bereits 1973 vom amerikanischen Soziologen Marc Granovetter begründet und nun von mir (ein weiteres Mal) im Twitter-Netzwerk empirisch überprüft.

    Das Ergebnis: Je weniger gemeinsame Freunde zwei User haben, desto höher ist die Chance, dass der eine eine Nachricht des Anderen als interessant markiert (die sog. “Favoriten”). Anders ausgedrückt: Je stärker zwei Benutzer verbunden sind, desto seltener favorisieren sie ihre Nachrichten: Das, was mein bester Freund sagt, markiere ich am allerwenigsten als Favorit.

    Twitternetzwerk

    Im Schaubild dargestellt sind vier einzelne Freundeskreise von Menschen (bzw. Twitterati), die sich untereinander relativ gut kennen und daher gegenseitig zurückfolgen. Auch die eigenen Freunde folgen den gleichen Personen. Die Freundeskreise jedes Mitglieds einer Untergruppe überlappen sich also stark (blaue Verbindungen). Microblogging ermöglicht es nun, relativ schwache Bindungen (lila) einfach aufzubauen und zu unterhalten. Dadurch werden Brücken in anderen Sub-Netzwerke geschlagen, über die dann Innovation und Kreativität fließen kann.

    Empirische Untersuchung

    Untersucht wurden 1.057 zufällig und zusammenhanglos ausgewählte Favoriten aus der deutschsprachigen Twittersphäre.

    Zunächst wurde die Anzahl der starken Bindungen der erfassten Twitteruser ermittelt. Als “starke” Bindung wurde gewertet, wenn sich zwei User gegenseitig folgen (sog. “Refollowing”). Im zweiten Schritt wurde die Schnittmenge der starken Kontakte zwischen dem Favoriserenden und dem Favorisierten ermittelt. Je höher die Überlappung ist, desto stärker ist deren Verbindung untereinander.

    Favoriten
    Einen Tweet (Kurznachricht auf Twitter) zu favorisieren, ihn also in einer besonderen Schublade abzulegen, wurde in der Untersuchung als Ausdruck dafür interpretiert, dass ein User die enthaltene Information für wertvoll hält. Dass darin also eine (im weitesten Sinne) Information enthalten ist, die für einen selbst merk-würdig erscheint.

    Weak Ties auf Twitter

    Microblogging als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Netzwerken

    Granovetters Theorie der “Strength of Weak Ties” wurde schon häufig empirisch belegt und konnte nun auch für Twitter nachgewiesen werden. Zudem zeigt sich der Wert von Twitter für innovative Prozesse: Die favorisierten Tweets enthalten wertvolle, unter Umständen auch innovative Informationen, die gerade für Wissensarbeiter und Menschen in kreativen Berufen gewinnbringend sein können. Hierin liegt die Stärke von Twitter bzw. Microblogging: Man kann schwache Bindungen besonders einfach unterhalten und damit Brücken bauen zwischen verschieden Gruppen (Gemeinschaften von Wissensträgern).

    Auf diese Weise gelangen Informationen an einen heran, die man a) nicht nachfragen konnte (weil man noch nicht einmal die Idee zu einer Frage hatte), die aber b) sehr wertvoll und innovativ sind (deshalb wurden sie favorisiert).

  • 29 Reaktionen

    Kommentare

    1. Stefan
      (@StefanOsswald)

      12. Februar 2010

      Wenn man sich aber dann die am meisten favorisierten Tweets anschaut, dann erscheinen mir die eher merkwürdig statt merk-würdig. Die einzige Innovation darin ist der Wortwitz.

      (Antworten)

      Thomas Pfeiffer antwortete am Februar 12th, 2010 :

      Naja, immerhin hat den entsprechenden Tweet jemand favorisiert. Also irgendwas muss für denjenigen dann an dem Tweet ja dran sein. Und auch Wortwitz ist Innovation.

      (Antworten)

    2. Markus
      (@jayzon277)

      12. Februar 2010

      Natürlich kommt es auf die Art an, wie der jeweilige Nutzer Favoriten einsetzt. Für mich ist es einerseits zwischenzeitliche Linkablage für wenige Stunden, andererseits werden eben die Wortwitze etc. längerfristig dort abgelegt.

      Interessanter wäre es daher meiner Meinung nach, wie mit ReTweets verfahren wird. Schließlich lege ich diese Informationen nicht nur für mich privat (da nur mit Mühe von anderen erreichbar) ab, sondern verteile die Informationen wiederum in meinem Netzwerk. Das ist natürlich etwas schwieriger zu tracken (verschiedene RT-Arten, HT,…), aber aufschlussreicher.

      Was ich viel bemerkenswerter finde: Diese Ministudie kratzt ja prinzipiell nur an den vorhandenen Möglichkeiten. Mit einem gut geschriebenen Spider wären bei Twitter statistische Auswertungen in Größenordnungen machbar, von denen jeder Statistiker in anderen Bereichen wohl nur träumen kann. Sehenswert dazu übrigens: http://www.tweetreach.com – aber das kennt ihr sicherlich schon ;)

      (Antworten)

      Thomas Pfeiffer antwortete am Februar 12th, 2010 :

      Ich denke, es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Retweets und Favoriten. Allein schon, wenn ich das bei mir ansehe: Was ich favorisiere, retweete ich nicht zwangsläufig und umgekehrt.

      Auch wenn man die Analyse mit 10.000 statt 1.000 Items durchführt wird sich am Ergebnis nicht viel ändern und die zentrale Aussage wird gleich bleiben.

      (Antworten)

      CBS antwortete am Februar 15th, 2010 :

      Ich denke auch, dass Retweets sinnvoller gewesen wären, da hier die Bedeutung klar ist (empfehlenswert). Die Favoriten haben bei Twitter bislang keinen für mich erkennbaren sozialen Nutzen. Ich nutze sie auch nur als bookmarks, wenn ich mal unterwegs bin und mir die Links später noch mal in Ruhe am Rechner ansehen will.

      (Antworten)

      Thomas Pfeiffer antwortete am Februar 15th, 2010 :

      Hallo,

      danke, CBS, Du sprichst es aus: Favoriten sind Bookmarks, sie Du Dir noch einmal anschauen möchtest. Also sind sie für die be-merken-swert.
      Der soziale Aspekt steht hier überhaupt nicht zur Debatte.

      Im übrigen: Man kann auch retweeten, um jemandem einen Gefallen zu tun,unabhängig vom Inhalt.

      Thomas

      (Antworten)

      CBS antwortete am Februar 16th, 2010 :

      Gut, aber ich bookmarke eben NUR von unterwegs. Nach dem Lesen am Rechner lösche ich die Bookmarks auch wieder. Im Büro oder Zuhause favorisiere ich keinerlei Tweets, selbst wenn sie mir gut gefallen, weil ich darin keinerlei Sinn sehe. Insofern hinkt die Betrachtungsweise doch sehr - zumindest bei mir. ;-)

      Thomas Pfeiffer antwortete am Februar 16th, 2010 :

      Auch wenn Du die Bookmarks nach kurzer Zeit wieder löschst, bleibt die zugrunde liegende Operationalisierung davon unberührt: Die gefavten Tweets stechen irgendwie aus der Timeline heraus.
      Insofern ist diese Operationalisierung, und nichts anderes ist es hier, nach wie vor valide.

      CBS antwortete am Februar 17th, 2010 :

      Aber dass ich das Favorisieren im “Normalfall” gar nicht verwende, bleibt ignoriert?

      Thomas Pfeiffer antwortete am Februar 17th, 2010 :

      Zum einen ist es schwierig, von sich auf andere zu schließen. Was ist schon der “Normalfall” im Long Tail?

      Zum anderen: Sie benutzen ja Favoriten.

    3. Daniel
      (@freshheit)

      12. Februar 2010

      Interessantes Ergebnis Thomas! Wie auch die anderen Kommentare muss man jedoch vorsichtig bei der Interpretation sein. Ich sehe den Inhalt des Favoriten als sehr wichtig an und diese sind bei Twitter stark unterschiedlich. Bei Granovetter ging es explizit um Jobs ;)

      Darüberhinaus würde ich die These aufstellen, dass man bei Twitter in 90% der Fälle Menschen folgt, die man persönlich nicht kennt. Das ist natürlich eine andere Ebene, aber dürfte die Theorie ebenfalls bestätigen.

      Vor ca. einem Jahr habe ich das mal an anderer Stelle so ausgedrückt:

      Facebook = Intrinsic motivated connection with people you know
      Twitter = Extrinsic motivated connection with people you’d like to know better

      (Antworten)

    4. Jan-Philipp
      (@HeyPssst)

      12. Februar 2010

      Vorweg: Ich finde die These interessant, die aufgestellt respektive auf Twitter-Kommunikation übertragen wird. Die Zweifel der anderen Kommentatoren teile ich.
      Nach einigem Hin- und Herüberlegen kann ich Daniel auch zustimmen, was seine Einschätzung von Facebook und Twitter angeht; das liegt aber auch schon in der Konstruktion der Netzwerke begründet: Twitter ermöglicht ein Followen im Handumdrehen, ohne, dass der Verfolgte das in irgendeiner Art und Weise bestätigen müsste. Facebook hingegen legt bei Freundes-Verindungen Wert auf beiderseitiges Einverständnis.

      (Antworten)


    5. 13. Februar 2010

      Diese Theorie beobachte ich auch schon länger, aber Granovetter hat das für die Jobsuche erforscht. Da starke Bindungen im Arbeitsumfeld häufiger auftreten und man über schwache Kontakte zu Leuten hat, die offene Stellen kennen, leuchtet das auch ein.
      Ich verstehe aber nicht, was daran auf soziale Netzwerke übertragbar sein soll. Zumal die Follower-Eigenschaft die SOZIALE Bindung nicht abbildet, diese lässt nämlich nicht erkennen, wie die Personen in der Real World zueinander stehen.
      Was mir einleuchtet ist, dass man Anregungen aus anderen Beziehungsgefügen bekommt. Das ist aber doch ziemlich trivial. Wenn ich auf dem Marktplatz stehe und allen Gesprächen zuhöre, weiss ich doch auch, was gerade in ist.

      (Antworten)

    6. rp
      (@mikrotexte)

      13. Februar 2010

      Favoriten haben, denke ich, für manche noch eine soziale Funktion: Denjenigen, den man favorisiert, will man sozusagen auf sich aufmerksam machen - als einer unter vielen Followern. Auf diese Weise schmeichelt man dann natürlich eher Leuten, mit denen man nicht schon persönlich bekannt ist. Vorausgesetzt ist dabei, dass man von Tools wie Favstar weiß und davon ausgehen kann, dass dies auch beim Favorisierten der Fall ist. Sollte diese soziale Funktion tatsächlich eine Rolle spielen, wäre es interessant, zu wissen, welche Richtung das schmeichelnde Favorisieren im hierarchischen System von Twitter nimmt, etwa von unten nach oben: ob man also vielleicht feststellen kann, dass Leute mit wenig Followern eher solche favorisieren, die viele Follower haben.

      (Antworten)

    7. bondman

      13. Februar 2010

      Ich finde es schon ziemlich abgefahren, wie intensiv mittlerweile über dieses Thema diskutiert wird bzw. welche Dimensionen dabei erreicht werden. Früher war es ein Gag, in 140 Zeichen eine kurze Nachricht abzusetzen - und man hat sich gefreut, wenn das überhaupt irgendjemand mitbekommen hat. Heutzutage wird regelrecht über Twitter und Microblogging philosophiert - da hätte ich mir nie träumen lassen. Die Tiefe dieses Beitrags hat mich schon sehr fasziniert - auch wenn ich zugeben muss, dass ich nicht alles verstanden habe.

      (Antworten)

    8. Thomas Pfeiffer

      13. Februar 2010

      Hallo,

      vielen Dank für Eure wertvollen Anregungen und Kommentare.

      @Christoph Kappes: Ich teile immer weniger die Einschätzung, dass es einerseits den Cyberspace gibt und *andererseit* das sog. richtige Leben. Wir diskutieren hier computervermittelt, aber durchaus real

      @rp: Die Frage ist doch, ob ein Favorit eine valide Operationalisierung für einen besonderen Tweet ist. Aus welchem Grund auch immer. Ich denke, das ist so.

      @Daniel: Gleich wie viele der Personen, denen ich folge, ich persönlich kenne: Wo in der Interpretation siehst Du einen Fehler?

      Danke.

      (Antworten)

    9. Erfinder Talent
      (@weplakos.de)

      14. März 2010

      Das kann ich nur bestätigen, für Wissensarbeiter ist twitter ein riesen Schritt nach vorne

      (Antworten)

    10. mart_n
      (@balbi_de)

      13. Juni 2010

      Soll ich den Beitrag jetzt retweeten oder favorisieren? Er trifft genau den Punkt warum ich überhaupt Twitter verwende: Inspirierende Hinweise von anderen Leuten zu bekommen.
      Aber jetzt kommt die Frage, ist dieser Artikel für meine Followers interessant oder nicht. Und wenn nein, warum habe ich den Artikel eben gelesen?
      Ich entscheide mich für unwichtig. Obwohl er eigentlich interessant ist, ist er doch nutzlos, weil das Ergebnis der Untersuchung - wann man ein Tweet favorisiert - auch dann existiert, wenn man es nicht weiß.
      Somit habe ich jetzt die Entscheidung getroffen, dass es für mich nicht nur wichtig ist etwas interessantes zu retweeten, sondern es soll auch wichtig sein. Das wird die richtige Entscheidung sein. Im Allgemeinen … Es sei denn, etwas ist extrem witzig, dann ist es uninteressant, ob es wichtig ist. Dann gibt es noch die Witze, die eigentlich nicht komisch sind, sondern eher interessant … zum Bleistift.

      (Antworten)

  • Trackbacks

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