Twitter für Verlage
Dieser Artikel erschien in der November-Ausgabe Direkt Marketing.
San Francisco, Anfang Juni 2009. Das Telefon klingelt in einer kleinen Firma. In der Leitung ein Mitarbeiter des Weißen Hauses in Washington. Er bittet darum, dringende Wartungsarbeiten an der firmeneigenen Website tagsüber und nicht - wie geplant - nachts, auszuführen; auch wenn tagsüber mehr Amerikaner davon betroffen seien als zu nachtschlafender Zeit. Wichtiger sei der Dienst für die Menschen am anderen Ende der Welt, in Iran, wo Tag ist, wenn Amerika schläft. Und Twitter leiste dort wertvolle Dienste für die Kommunikation innerhalb und außerhalb der Protestbewegung.
So wichtig ist Twitter.com mittlerweile geworden, dass das Weiße Haus unter Barack Obama Einfluss auf den Dienst nimmt. Auch hierzulande nimmt der Microblogging-Dienst eine immer wichtigere Stellung im Medienmix ein. Politiker twittern ebenso wie Prominente und namhafte Firmen: der Grünen-Geschäftsführer Volker Beck ist dabei ebenso wie der langjährige Bundesligamanager Reiner Calmund und der Mobilfunkanbieter Vodafone. Sie berichten von Ihrer Arbeit, beantworten die Fragen ihrer Follower (=Abonnenten) und bringen sich so in öffentliche Diskussionen ein.
Und täglich werden es bis zu 1.500 Menschen mehr, die sich bei Twitter allein in Deutschland anmelden. Jedes Quartal verdoppeln sich die Nutzerzahlen, 220.000 Twitter-Accounts sind bereits registriert, zehn Mal so viele besuchen die Website Twitter.com monatlich – Tendenz stark steigend.(Update: Das bis zu 30% Monatswachstum des Sommers 2009 ist zurzeit auf 5% pro Monat gesunken.)
Natürlich wird auf Twitter viel scheinbar Belangloses erzählt, z.B. wo man gerade ist („IFA in Berlin - Spannend die Audioinstallationen in der U-Bahn“) oder was man zu Mittag isst („Allerfeinstes Straußenfilet. Der Hammer! Bei Mama schmeckt’s halt immer noch am besten!“). Daneben gibt es aber auch viele wertvolle Informationsperlen zu entdecken, wie z.B. „Schöner Beitrag zur Bedeutung von Kultur & Technik im Wissensmanagement: ‘Wissen 2.0 in der Firma’ http://bit.ly/cotqI” oder „Neuer Artikel: Aufgabenplaner Online, nicht ganz vollständige Liste http://tr.im/uxBj“. Sogar für Mini-Kunst ist Platz: „Dieser Satz kein Verb“ oder „Müde schaue ich durch die Gitterstäbe meines Gedankengefängnisses“. Die Themen auf Twitter reichen von Sport, Unterhaltung, Computer und Internet bis hin zu Politik und Feuilleton. Der Dienst Twitterthemen listet tagesaktuell die Top-Themen der deutschsprachigen Twittersphäre auf. Bundesligaspiele werden öffentlich kommentiert, Wahlen analysiert und neue Software wird bewertet.
Wichtig für das Verständnis von Twitter ist, dass sich jeder seinen eigenen Nachrichten-Mix zusammenstellt. Niemand liest alle Nachrichten aus der Öffentlichen Zeitleiste, in der tatsächlich viel Belangloses steht, sondern jeder entscheidet sich selektiv für die Nachrichten bestimmter Nutzer, die ihn persönlich interessieren. Nutzer mit belanglosen oder gar stupiden Kurznachrichten werden kaum verfolgt und daher nicht gelesen. Die Toptwitterer erreichen derzeit in Deutschland knapp 20.000 Follower, auch das mit steigender Tendenz.
Gemäß der Twitterumfrage vom März 2009 haben auf Twitter drei von vier Nutzern einen höheren Bildungsabschluss, im Schnitt sind sie 32 Jahre jung und jeder zweite arbeitet nach eigener Aussage im Bereich Medien und Marketing. Das sind potentielle Leser (zumindest des Online-Auftritts) und auch Weiter-Verbreiter, die einen gelungenen (aber auch einen misslungenen) Artikel weiter empfehlen und so zusätzliche Klicks auf ein Online-Angebot generieren, für die mein bei Google AdSense unter Umständen viel Geld bezahlen müsste.
Wie schaffen es Verlage, sich in die öffentliche Diskussion auf Twitter einzubringen und so auf sich und den eigenen Webauftritt aufmerksam zu machen?
Machen Sie einen Plan
Microblogging ist so einfach, da ist die Versuchung groß, sofort drauf los zu twittern. Für Privatpersonen ist das kein Problem, für Firmen kann das aber schnell zum PR-Desaster werden. Die Twittersphäre ist voll von verwaisten Firmen-Accounts, die vor allem das repräsentieren, was Sie lieber nicht über Ihren Verlag aussagen wollen: Ihnen ist Twitter bzw. sind die Menschen auf Twitter gleichgültig und Sie machen zwar jeden neuen Trend mit, bleiben aber nicht nachhaltig dabei.
Erstellen Sie einen Plan, was Sie mit Twitter erreichen wollen. Die Rhein-Zeitung bspw. beschreibt sich auf Twitter selber mit „Am Mittelrhein kennt man uns seit 63 Jahren. In Twitter lernen Sie ganz neue Seiten von uns kennen.“ und betreibt mehrere Twitteraccounts um vom verstaubten Image einer „alten Print-Tante“ weg zu kommen und „verloren geglaubte Gruppen wie ‘Digital Natives’ und Ex-Leser zu erreichen“, sagt ihr Chefredakteur Christina Lindner. Zudem sollte der Plan auch beinhalten, wer, wann, wie und worüber twittert und vor allem auch, wie der Erfolg gemessen werden soll.
Wer sollte in Ihrem Verlag twittern?
Die Frage, wer twittert, ist nicht einfach zu beantworten. Schließlich müssen Twitter-Nachrichten der Schnelligkeit wegen ohne langwierigen Freigabeprozess auskommen. Die Person hinter Twitter muss also die nötige Kompetenz und Erlaubnis besitzen, direkt und ohne Nachfrage im Namen des Verlags veröffentlichen zu können. In der Regel ist das der Chefredakteur bzw. Chef vom Dienst. Aber hat nicht auch ein Reporter von unterwegs spannendes sofort zu berichten? Berücksichtigen Sie auch Mitarbeiter, die bereits privat twittern. Eine einfache Umfrage im Kollegenkreis sollte darüber Aufschluss geben. Diese Mitarbeiter kennen die ungeschriebenen Regeln des Microbloggings und haben das neue Medium im besten Falle geradezu verinnerlicht. Zudem haben sie sich ggf. mit ihrem privaten Account eine gewisse Twitter-Reputation erarbeitet, die gerade in der Anfangsphase eines Twitterengagements für Ihren Verlag gewinnbringend sein kann. Binden Sie diese Mitarbeiter aktiv mit ein.
Kommen Sie mit Ihren Lesern in Kontakt
Reagieren sie auf (öffentliche) Anfragen, sog. @replies. Geben Sie direkte Antworten oder verweisen Sie ggf. höflich auf die Hotline oder ein E-Mail-Formular. Mit einer einzigen freundlichen Antwort kann man einem Beschwerdeführer viel Wind aus den Segeln nehmen und gleichzeitig allen anderen Lesern zeigen, dass man auf die Eingaben der Leserschaft respektvoll reagiert und sich um sie kümmert. Das dient der Markenpflege und ist eine fortlaufende Imagekampagne im Kleinen. Bislang noch kostenlose Software wie z.B. CoTweet (http://cotweet.com) unterstützte inen entsprechenden Workflow, bei dem kein @reply verloren geht oder unbeantwortet bleibt.
Sie können zwar nicht verhindern, dass über Sie gesprochen wird. Aber Sie können beeinflussen, in welcher Art und Weise das geschieht und sich positiv an der Diskussion beteiligen.
Werden Sie Teil der Gemeinschaft
Um als gleichwertiger Teil der Twitter-Community wahrgenommen zu werden, beteiligen Sie sich an Twitter-Aktionen, leiten Sie von Zeit zu Zeit Nachrichten Ihrer Follower weiter, sog. Re-Tweeten. Die @Rheinzeitung veranstaltet allabendlich das #Twitraten. Dabei veröffentlichen sie einen kleinen Bildausschnitt aus der Printausgabe des kommenden Tages und bitten ihre Leser, zu raten, worum es sich handelt. Die Gewinner werden persönlich aus der Redaktion beglückwünscht – über Twitter. Ganz nebenbei wird die kommende Printausgabe beworben.
Ebenso wählt die Redaktion für jede Ausgabe den „Tweet des Tages“ und veröffentlicht ihn in der Print-Ausgabe mit Autorenangabe. In der Anmoderation hierzu wird wiederum das eigene Twitterengagement beworben.
Kreativ auf die eigene Seite verlinken
Lassen Sie nicht einfach automatisch Ihre wichtigsten Überschriften nach Twitter laufen. Nehmen Sie sich die Zeit, Tweets maßzuschneidern. Unter @DerWesten twittert z.B. der Spätdienst, dass die Deutsche Bahn Schwarzfahrer-Fangprämien für Schaffner auslobt – und würzt das ganze mit dem zweideutigen Gruß, nachts um zwei Uhr, „Der Westen sagt Gute Nacht“.
Gekonnt formulierte Tweets über ein internet-affines Thema locken bis zu zehn Mal mehr Besucher auf einen Artikel wie keine Ankündigung auf Twitter, berichtet Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung.
Controlling
Definieren Sie für Ihren Verlag Erfolgsfaktoren, anhand derer Sie Ihr Twitter-Engagement messen wollen. Aber seien Sie behutsam. Auch der Return-On-Investment (ROI) des Sponsoring einer Bandenwerbung im heimischen Stadion lässt sich schwer in Zahlen fassen. Im Internet ist das zwar einfacher, weil Klickraten mitprotokolliert werden. Vieles dient im Web2.0 aber der Imagepflege und langfristigen Zielen, wie z.B. dauerhafte und feste Kundenbeziehungen . Es würde zu kurz greifen, wenn Sie Ihre Twitterei nur anhand der Klickraten von Twitter zu Ihrem Webauftritt bewerten würden. Gleichwohl ist das ein wichtiges Instrument, das noch dazu sehr leicht zur Verfügung steht. Schon mit Ihrer herkömmlichen Statistiksoftware, die die Zugriffe auf Ihre Webpräsenz misst, lässt sich auch bestimmen, welcher Website-Besucher von Twitter kommt.
Ein weiteres Kriterium ist die reine Anzahl der Follower. Doch hier ist Vorsicht geboten. Es gibt eine Reihe dubioser Tools, die mehrere Tausend neue Follower pro Woche versprechen – und dieses Versprechen sogar halten! Allerdings sind die meisten entweder englischsprachige und/oder Spam-Accounts. Die sind nicht an Ihrem Angebot interessiert und werden weder auf die Links klicken noch jemals Ihr Produkt am Kiosk kaufen. Streben Sie nach „Qualitätsfollowern”. Setzen Sie auf ein organisches Follwer-Wachstum, indem Sie sich aktiv in der Twitter-Community engagieren und z.B. Ihren Twitter-Account auf der Webseite oder in der Printausage bewerben.
Auf http://deutsche-twitter-liste.de finden Sie unter anderem eine aktuelle Auflistung twitternder deutscher Medien. Das ist ein guter Überblick über andere Akteure auf Twitter, wie viele Follower diese erreichen und was für Ihren Verlag ein realistisches Ziel darstellen könnte. Ebenso sollten Sie die für Sie wichtigen Medienangebote evtl. mit einem privaten Account verfolgen und im Auge behalten. So bekommen Sie ein gutes Gefühl dafür, wie anderen Medien Twitter nutzen.
Fazit
Die Inhalte auf Twitter reichen von tagesaktuellen Themen wie sie auch in Ihrer Printausgabe und in Ihrem Onlineauftritt vorherrschen, von Politik, Sport über Feuilleton bis hin zu Gewinnspielen mit und ohne Preis sowie Fragen an die Leser. Das Cluetrain-Manifest von 1999 besagt: „Märkte sind Gespräche“ und „Märkte bestehen aus Menschen“. Twitter ist ein hervorragendes Medium, um Gespräche zu führen – gemeinsam mit Ihren Lesern.
Andere Stimmen
“In letzter Zeit greif ich lieber zur RZ” Netzfeuilletion.de