• Sascha Lobo: „Ich bin an moralische Grenzen gestoßen”

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    Er sagt über sich selbst, er sei „Inhaber einer gut gehenden Frisur”. Was aber sitzt unterhalb dieser Frisur? Woran glaubt der Werber, Blogger und Buchautor Sascha Lobo, der noch ein paar ausgedachte Berufe mehr ausübt? Was treibt ihn an?

    Sein Debutroman „Strohfeuer” führt uns zurück in die New Economy, als man noch Geld verdienen konnte mit dem einfachen Bedienen eines Browsers oder dem Pixelschieben in Photoshop 5.0. Die New Economy, so Lobo, war „ein Vorbeben der Finanzkrise von 2008/09”.
    Er aber hat viel gelernt aus seinen Niederlagen und kommt mittlerweile sogar ganz gut ohne Banken aus…

    Ich habe dem digitalen Romancier ein paar Fragen gestellt:

    Thomas Pfeiffer: Deinen Debütroman „Strohfeuer“ hast Du aus der Ich-Perspektive von Stefan geschrieben, einem super-kreativen Mittzwanziger, der in den Gesichtern von Mitmenschen lesen kann und dessen Eitelkeit bisweilen an Narzissmus zu grenzen scheint. Wie viel Sascha Lobo steckt in Stefan?

    Sascha Lobo: Es handelt sich um ein bösartiges Alter Ego, vermutlich. Romanfiguren gehen einem leichter von der Hand, mir zumindest, wenn man ihnen eigene Eigenschaften mit auf dem Weg gibt. Aber die Hauptfigur ist nicht mit mir identisch.

    Pornopartys, schwebende Tanzflächen und meterhohe Cocktaileisblöcke – für alle, die nach 1980 geboren sind: war die New Economy um die Jahrtausendwende tatsächlich so krass, wie Du es im Buch darstellst? Oder hast Du ein wenig, um der Dramaturgie willen, übertrieben?

    Ja und nein. In „Strohfeuer” sind sehr viel mehr ausgedachte Passagen als man das vielleicht vermutet. Alle Partyszenen etwa sind vollständig erfunden, eventuelle Ähnlichkeiten Zufall, weil ich nicht recherchieren wollte, ob es irgendwo wirklich meterhohe Eisblöcke gab. Auf der anderen Seite war in den entscheidenden Dingen die New Economy noch sehr, sehr viel krasser, als ich das dargestellt habe. Man recherchiere zum Thema „met@box” oder zu Biodata, zwei Firmen, die am Neuen Markt gelistet waren. Dagegen sind die beiden Hauptfiguren im Buch fast naiv aufgestellt - und es gab noch weit Schlimmeres. Tragisch ist das übrigens auch, weil mit der New Economy das Internet zum ersten Mal auf die Deutsche Gesellschaft aufprallte. Viele negative Einstellungen resultieren aus den dramatischen Verlusten von damals, zum Beispiel von vielen großen Verlagen und auch von Privatpersonen, die ihre Ersparnisse verloren haben. Die New Economy hat das Image des Internet ruiniert.

    „Ich bin an moralische Grenzen gestoßen”

    Thorsten, Stefan, Philipp und Sandra, die Inhaber der Strohfeuer-Werbeagentur, lügen bis sich die Balken biegen: Sie schicken Schauspieler als Java-Programmierer zum Kunden und erfinden einen imaginären Kollegen namens Heiko Tänschel, um sich einen Auftrag zu sichern. Wie viel Moral verträgt die Werbebranche?

    Das kann ich nicht sagen. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich persönlich schon häufiger, etwa im letzten Sommer, durchaus an moralische Grenzen gestossen bin. Die Überlegung, was man noch mitmacht und was nicht mehr, muss aber inzwischen fast jeder auch ausserhalb der Werbebranche für sich treffen. Schon, weil sich mit ein paar Klicks herausfinden lässt, dass praktisch jeder größere Konzern moralische Positionen vertritt, irgendwo auf der Welt zumindest, die man selbst nicht teilen kann. Ob man dann für ein solches Unternehmen arbeitet oder dessen Produkte kauft, ist eine Entscheidung, die sich im Zweifel jedes Mal auf’s Neue stellt. Es ist vielleicht nachvollziehbar, dass ich mich nicht in der Position fühle, hier anderen Menschen Vorschriften zu machen.

    Die Mitarbeiter der Werbeagentur im Buch arbeiten am Wochenende durch („wie, Du kommst Sonntags erst um elf?“) und lassen sich mit einer Einladung zum Pizzaessen für die vielen Überstunden abspeisen. Du bist Mitglied im Onlinebeirat der SPD, die traditionell eher gewerkschaftsnah ist/war. Haben die Gewerkschaften, hat die SPD während der New Economy den Anschluss an die jungen Heiko Tänschels verpasst?

    Im Abklang der New Economy wurde ich dreimal von Gewerkschaften verklagt, weil wir Mitarbeiter entlassen mussten. Und ich rede hier von mussten, weil wir ein paar Wochen vor der Insolvenz standen. Die Unerbittlichkeit und der kaum vorhandene Kommunikationswunsch der Gewerkschaftsanwälte, die in ihrem eigenen Interesse die Mitarbeiter zu den Klagen angestiftet haben, fand ich so mittel. Auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass die dringend notwendige Flexibilisierung auf Kosten der Mitarbeiter passiert und genau das war der Fall während der New Economy.
    Anschlüsse sind allerdings sicher schon vorher verpasst worden und auch danach, insbesondere von den Gewerkschaften, wenn man sich deren Verhältnis zu Selbständigen und Einzelunternehmern ansieht. Trotzdem hoffe ich, dass sich die Gewerkschaften noch stärker zum Teil der Lösung entwickeln und nicht ihr Beharrungsvermögen in den Vordergrund stellen, um ihre Facharbeiterklientel zufriedenzustellen. Die SPD ist da auf einem besseren Weg, derzeit, weil Parteien schneller begreifen, was die Menschen wollen, als man glaubt. Aber leider nicht so schnell, wie man hofft.

    „Ich bin in die Null-Schulden-Religion eingetreten.”

    Wer in Deutschland mit einer Firma pleite gegangen ist, gilt als Versager. In den USA ist das anders: Hier sagen die Leute: Fail fast, fail cheap. Hat es die Start-Up-Szene in Deutschland besonders schwer, auf die Beine zu kommen?

    Diese Haltung sehe ich in Deutschland gar nicht mehr so verbreitet, da hat sich in den letzten zehn Jahren viel geändert. Allerdings spricht meine Meinung hier nur den gesellschaftlichen Status an. Wie die Situation für Expleitiers etwa bei Banken ist, weiss ich aber nicht, weil ich direkt nach der New Economy in die Null-Schulden-Religion eingetreten bin und deshalb mit Banken gar nicht so viel zu tun habe.

    Am Ende des Buches treffen sich Thorsten und Stefan, um neue Pläne auszuhecken. Was hast Du persönlich aus dem Zusammenbruch der New Economy gelernt? Was würdest Du heute anders machen als vor zehn Jahren?

    Fast alles würde ich anders machen, bis auf die Begeisterung, mit der man damals an Projekte gegangen ist. Die vermisse ich manchmal schon, aber sie scheint seit zwei drei Jahren wiedergekommen zu sein. Gelernt habe ich, dass man sich vor allem dann entscheiden sollte, wenn man glaubt, keine andere Wahl zu haben. Und dass da Menschen hinter solchen Goldrausch-Situationen stecken, die kaum lernfähig sind oder sein wollen. Die New Economy war in vielen Hinsichten ein Vorbeben der Finanzkrise von 2008/2009.

    Danke für das Gespräch.

    Die Website zum Buch heißt wie der Autor selbst: http://saschalobo.com/
    Und natürlich gibt es auch Strohfeuer bei Amazon.

    Dieses Interview wurde in Auszügen vom europäischen Blogprojekt Wikio in Französisch, Spanisch, Englisch und Italienisch übersetzt.

    Lesen Sie auch andere Interviews mit Sascha Lobo, Konstantin von Notz, Dieter Janeck oder Christoph Bieber.

  • 5 Reaktionen

    Kommentare


    1. 12. Oktober 2010

      Nun das Buch ist zur Zeit meine Reislektüre - ein wenig zur Entspannung. Aber die Geschichten, die dort beschrieben werden, rufen Erinnerungen wach an die “Wahnsinnig” “guten” Zeiten des .com. Nun jede Blase platz irgendwann, wichtig ist daraus zu lernen und zu er staunlicher ist, dass die nächste Blase bestimmt kommt. .com, Immobilien, ….. Nun wie heißt es so schön,
      Wissen ist der einzige Rohstoff, der sich bei Gebrauch vermehrt! - Jo, Dummheit aber auch! ;-) FRank

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    2. Chron2
      (@technikfutter)

      16. Oktober 2010

      Jetzt schreibt er schon Romane ;-)

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    3. Sandro Bertoliatti

      17. Oktober 2010

      Ihr solltet ernsthaft eruieren, eure sicher jedes Mal akkurat in die Schüssel drapierten Würste zu knipsen und hochzuladen. Das hätte 100 x mehr Charme als eure Grütze, die ihr content nennt. hier. Peinlich, wie bemüht eure Versuche wirken, etwas Interessantes über euch zu schreiben. In case you missed it: Es gibt nichts Interessantes über euch zu berichten. Lauft doch bitte vor einen Bus. Schönen Dank.

      (Antworten)

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