• Mehr Demokratie? Nur ohne die Ersatzstimme!

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    Die Idee klingt bestechend einfach: Neben der Stimme bei einer Bundestagswahl hat jeder Wähler und jede Wählerin noch eine zusätzliche Ersatzstimme. Diese kommt dann zum Zuge, wenn die erste Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Wer z. B. die Piratenpartei wählt, kann zusätzlich noch eine weitere Stimme an die Grünen vergeben, für den Fall, dass die Piraten den Einzug ins Parlament wegen der Sperrklausel nicht schaffen.

    Im Sport erlaubt, in der Demokratie nicht: Links antäuschen, aber rechts vorbeiziehen. (Foto: © akiebler - Fotolia.com)

    Bisher geht diese eine Wählermeinung komplett verloren, der Wählerwille spiegelt sich also nicht genau im Parlament wider. Mit der Alternativ- oder Ersatzstimme würde dieser Wähler dennoch seine Präferenz im Parlament abbilden können. Das würde kleine Parteien stärken und vom taktischen Wählen abhalten. Der Wäherinnenwille wäre so besser abgebildet, so die Befürworter der sog. Alternativstimme, z.B. der Verein Mehr Demokratie e.V.

    Ersatzstimmen können den Wählerwillen verzerren

    Gäbe es die Ersatzstimme, könnten paradoxe Situationen eintreten. Nehmen wir folgendes Rechenbeispiel:

    Auf die Volkspartei A entfallen 47% der abgegebenen gültigen Stimmen und auf Partei B 45%. 4% stimmen für Partei C (alternativ für Partei A) und weitere 4 % für Partei D bzw. B, wenn D nicht ins Parlament kommt. Hier noch einmal als Tabelle:

    Anteil Hauptstimme Ersatzstimme
    47 % A
    45 % B
    4 % C A
    4 % D B

    Weil in diesem Beispiel die beiden kleinen Parteien C und D an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, sind im Parlament nur A und B vertreten: A erhält die absolute Mehrheit der Sitze: 51% und kann alleine regieren, B ist mit 49% der Sitze nur zweitstärkste Kraft.

    Nehmen wir nun an, Lieschen Müller kann sich mit der Politik von B nicht identifizieren und wählt stattdessen lieber Partei C, falls es die nicht schaffen, am zweitliebsten Partei A, auf keinen Fall aber B!

    Anteil Hauptstimme Ersatzstimme
    47 % A
    44 % B
    5 % C A
    4 % D B

    Im Vergleich zur ersten Tabelle haben sich nur die Zeilen 2 und 3 geändert: B hat einen Prozentpunkt weniger, C einen Prozentpunkt mehr, springt aber nun über die Fünf-Prozent-Hürde und kommt ins Parlament. Obwohl Partei B nun prozentual weniger Stimmen als A auf sich vereinen kann, wird sie stärkste Kraft im Parlament mit 48 % der Sitze (44 aus der Hauptimme und 4 aus der Ersatzstimme zu D). Weil aber C den Sprung ins Parlament geschafft hat, werden deren Ersatzstimmen nicht frei, was in erster Linie Partei A schadet, sodass sie in der wichtigen Rangfolge hinter B zurückfallen.

    Das paradoxe an dieser Situation: Obwohl ein Wähler statt B lieber C (A) wählt, stärkt er damit die Partei B. Oder anders ausgedrückt: Es kann Situationen geben, in denen man Partei C wählen sollte, um Partei B zu stärken.
    Mehr Wählerstimmen für dieselbe Partei würden für diese Partei weniger Macht bedeuten, anders gesagt: Obwohl die Partei mehr Stimmen erhält, hätte sie weniger Macht!
    Das darf nicht sein!

  • 13 Reaktionen

    Kommentare


    1. Warning: copy(/opt/lampp/htdocs/servers/webevangelisten.de/z-cache/gravatar/images/b121dce4a94dca3e9e315775d653ba84.png): failed to open stream: Permission denied in /opt/lampp/htdocs/servers/webevangelisten.de/wp-content/themes/open-air/functions.php on line 649

      6. September 2011

      In deinem Negativszenario gehst du von etwas falschen Voraussetzen aus. Der Wähler würde zwar lieber A statt B (siehe auch Pest und Cholera) wählen, allerdings wählt er am allerliebsten C und da C es schafft kann C auch mitbestimmen. Deswegen ist es dem Wähler auch egal wie viele Punkte dann die Parteien A und B haben (z.B. können dann ja A und C auch eine Koalition bilden…)

      Dagegen ist das bisherige Wahlsystem ja genau so, ich sollte nicht die kleine Partei P wählen (da es unwahrscheinlich ist, dass sie reinkommt), sondern vielleicht G - oder doch vielleicht lieber S um die absolute Mehrheit von C zu verhindern…

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      Thomas Pfeiffer

      6. September 2011

      @Stefan Ich verstehe Deine Argumentation nicht. Es geht darum, dass der Wähler im Beispiel B wählen möchte, aber mit seiner Stimme für B B schadet. Wenn er B nutzen möchte, muss er C wählen. Das ist paradox!

      (Antworten)


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      6. September 2011

      Das ist ein klarer Fall von negativem Stimmengewicht und das mag das Verfassungsgericht nicht.

      Allerdings ist es leider so, dass es mathematisch beweisbar kein Wahlsystem ohne Paradoxien oder Pathologien gibt. Das besagt Arrow’s Paradox: http://en.wikipedia.org/wiki/Arrow%27s_impossibility_theorem

      Siehe auch http://en.wikipedia.org/wiki/Voting_system

      (Antworten)


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      Thomas Pfeiffer

      6. September 2011

      @Robert Du hast absolut Recht. Allerdings können Wahlsysteme zumindest das Monotonie-Gebot beachten: also mehr Stimmen bedeutet entweder gleich viel Gewicht oder mehr, nicht aber weniger.
      Ein System ohne Ersatzstimme bricht dieses Monotonie-Gebot nicht.

      (Antworten)

      Robert antwortete am September 6th, 2011 :

      Ja, Monotonie ist wünschenswert, aber genau so sind das die anderen Eigenschaften jede einzelne wünschenswert, aber trotzdem schliessen sie sich alle zusammen doch aus. Ohne Ersatzstimme habe ich halt das Paradox, dass ich eine Partei (oder einen Kandidaten) dadurch schwächen kann, dass ich eine exakte Kopie aufstelle, so dass sich dann die Stimmen teilen (oder in der Praxis relevanter: Eine andere Liste, die sehr ähnliche Forderungen aufstellt, das Amibeispiel ist hier Ralph Nader, in Berlin könnte man argumentieren, dass es die Piraten sind). Man muss sich halt mit seinem Wahlsystem entscheiden, welche Eigenschaft man zu opfern bereit ist (Robert bestimmt, wer gewinnt, ist auch ein Wahlsystem, dass alle bis auf eine Eigenschaft erfüllt).

      (Antworten)


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      bastiankbx
      (@bastiankbx)

      6. September 2011

      Die Ersatzstimme ist doch auch logistisch ein unlösbares Problem. Nach (!) dem ersten amtlichen Endergebnis müssen zwischen 5 und 10% aller Stimmen noch einmal auf die Ersatzstimmen ausgewertet werden (was dem Begriff Endergebnis widerspricht und deshalb selbst Hochrechnungen erst verzögert veröffentlichen lässt).

      Zweitens besteht die Möglichkeit (Grüne, Linke, FDP, Piraten) auch die Ersatzstimme an eine Partei zu geben, die ebenfalls - vielleicht sogar unerwartet - an der 5%-Hürde scheitert. Und dann wird es richtig ungerecht. Herr P. aus M. bringt seine Ersatzstimme durch (vielleicht sogar zu Lasten der eigenen Präferenz) und Herr K. aus B. wird weder mit Primär- noch mit Ersatzstimme ge- bzw. erhört.

      Trotz irritierender (und verfassungsfeindlicher) Regelungen - wie z.B. Überhangmandate - also ziemlicher Blödsinn.

      Trotzdem schön, dass wir drüber gesprochen haben :)

      (Antworten)


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      Bastian
      (@BastianDietz)

      6. September 2011

      Die Idee ist auch deshalb ziemlich schwachsinnig, weil ich ja mit meiner ersten Stimme die Partei der bibeltreuen Christen wählen kann und mit meiner Ersatzstimme dann noch die Autofahrerpartei. Was ist damit gewonnen? Nix.
      Vielmehr liegt dem ganzen Vorschlag die Annahme zu Grunde, dass es grundsätzlich ganz konkrete Parteien gibt, die die 5 % Hürde schaffen und welche, die das nicht reißen. Aber so eine Annahme vor der tatsächlichen Wahl in einem Wahlgesetz niederzuschreiben widerspricht dem Gedanken von freien Wahlen und staatlicher Neutralität gegenüber Parteien.
      Der Denkfehler ist, aus der Vergangenheit in die Zukunft zu schließen. D.h. man kann aus den Wahlergebnissen der letzten 50 Jahre das Wahlsystem nicht so verändern, als ob die Vergangenheit die Zukunft bestimmen würde. Denn theoretisch könnten PBC und AFP bei den nächsten Wahlen auch 6 % bekommen. Warum das so ist oder nicht so ist, ist nicht die Aufgabe des Wahlsystems, sondern des Wählers.

      (Antworten)


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      8. September 2011

      Die Alternativstimme führt dazu, daß die Stimmen im jeweiligen Lager bleiben:
      Begründung:
      Jedes Wahlsystem kann mittels extremer Beispiele ad absurdum geführt werden und man kann am Ende den ‘Wald vor lauter Bäumen nicht mehr erkennen.
      Fakt ist aber, daß nach dem bestehenden Wahlrecht ein Großteil der “verlorenen” Stimmen” dem gegnerischen Lager zugute kommt.
      Die auf die Linke, Freie Wähler, die Piratenpartei, Tierschutzpartei,ÖDP und ähnlichen entfallenen Stimmen werden bei einem Scheitern an der 5%Klausel nach dem Proporzprinzip auf die erfolgreichen Parteien verteilt, in Bayern also der Löwenanteil der CSU. Wer also die Linke oder Piratenpartei wählt, stärkt die CSU und verhilft ihr sogar u.U. zu einer Mehrheit der Sitze, obwohl sie von einer STimmenmehrheit weit weg ist.
      Mit der Alternativstimme, bleiben die Stimmen im jeweiligen Lager und das ist das Entscheidende, auch wenn es Bundesländer geben mag, in denen das für die Grünen gerade nicht günstig ist.
      Es geht um die Verwirklichung eines Höchstmasses von Demokratie

      (Antworten)


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      9. September 2011

      Leider muß ich auch gestehen, daß ich das Beispiel von Thomas überhaupt nicht verstehe.
      Für wen steht Lieschen Müller ? Denn es geht ja wohl nicht um das Verhalten einer einzigen Wählerin.
      In beiden Beispielen hat A die Mehrheit.
      Was ist so schlimm daran, daß im zweiten Beispiel durch das Wahlverhalten von Lieschen Müller die 5 % erreicht ?

      (Antworten)


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      15. Oktober 2011

      Mir fällt noch etwas auf. Der gute Thomas stellt die Idee so dar:

      “Neben der Stimme bei einer Bundestagswahl hat jeder Wähler und jede Wählerin noch eine zusätzliche Ersatzstimme. Diese kommt dann zum Zuge, wenn die erste Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Wer z. B. die Piratenpartei wählt, kann zusätzlich noch eine weitere Stimme an die Grünen vergeben, für den Fall, dass die Piraten den Einzug ins Parlament wegen der Sperrklausel nicht schaffen.”

      Er spricht also von zwei Stimmen. In Wirklichkeit hatätteder Wähler weiterhin nur eine Stimme, die weiterwandert, wenn die gewählte Partei die 5 % nicht schafft.

      (Antworten)

      Thomas Pfeiffer antwortete am Oktober 18th, 2011 :

      Dann wäre die Stimme an eine Bedingung geknüpft (“nur wenn Partei A nicht reinkommt”). Das widerspricht auch der Vorstellung, dass Menschen an ihre demokratische Stimme keine Bedingungen (z.B. in der Art: “nur, wenn keine Koalition mit der CDU”) formell (!) knüpfen

      (Antworten)

      Alfred Mayer antwortete am November 17th, 2011 :

      Auch so ist die Stimmabgabe an eine Bedingung geknüpft. Die für eine Partei abgegebenen Stimmen führen nur dann zum Einzug in das Parlament, wenn der Stimmenanteil mindestens 5 % beträgt.

      (Antworten)


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      Sebastian

      28. März 2012

      In der Tat sollte ein Wahlverfahren das Monotonie-Kriterium erfüllen. Und nun die gute Nachricht: Die oben beschriebene Ersatzstimme mit einfacher Streichungsregel erfüllt das Monotonie-Kriterium.*

      Wenn man sich obiges Beispiel betrachtet, sieht man:
      Zuerst hat B einen relevanten Stimmanteil von 49%. Nun ändern 1% Lieschen Meiers ihre Meinung und versagen Partei B ihre Stimme. Und danach hat B einen relevanten Stimmanteil von 48%.
      Die Partei B hat also durch Stimmverluste (potentiell) Mandate eingebüßt und definitiv keine hinzugewonnen. Das ist genau, wie ein Wahlsystem funktionieren sollte. Es liegt keine Monotonie-Verletzung und kein negatives Stimmgewicht vor.

      Das Arrow-Theorem lässt sich auch nur bedingt anwenden, da es sich ausschließlich auf “Single Winner”-Wahlen bezieht, die auf Präferenzordnungen mit mindestens 3 Kandidaten basieren.

      Wenn man hier eine Verletzung eines “Monotonie”-Kriteriums “erzeugen” möchte, müsste man ein neues definieren, z.B. die “Banzhaf-Monotonie”, die statt der Mandatszahl den Banzhaf-Machtindex betrachtet, d.h. den Anteil an mehrheitsbildenen Koalitionen, an denen man beteiligt ist. In obigem Beispiel würde sich der Machtindex von zuerst 100% A, 0% B, C, D auf je 33% A, B, C verschieben. Die Ersatzstimme würde die “Banzhaf-Monotonie” also nicht erfüllen, jedoch wird die Banzhaf-Monotonie bereits durch die Sperrklausel verletzt, somit erfüllt auch das Bundestagswahlrecht ohne Ersatzstimme die Banzhaf-Monotonie nicht. [Mir wäre auch nicht bewusst, dass das Kritierum "Banzhaf-Monotonie" schon irgendwo verwendet würde; ich habe es soeben erfunden.]

      * Würde man als Streichungsregel stattdessen immer nur die Partei mit den wenigsten Stimmen streichen und ihre Stimmen auf die Zweitpräferenzen verteilen (IRV), bis alle Parteien über 5% liegen, würde die Montonie allerdings verletzt. Die oben beschriebene Ersatzstimme mit einfacher Streichregel ist also die sinnvolle Wahl und der Ersatzstimme mit IRV-Streichregel vorzuziehen.

      (Antworten)

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