• Konstantin von Notz: „Bei Union und SPD wird unterkomplex gesprochen”

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    Dr. Konstantin von Notz ist innen- und netzpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und Mitglied von Transparency International. Seine Themen sind u.a. Datenschutz und Bürger_innen-Rechte. Im Interview geht der 39jährige hart mit der schwarz-gelben Regierung ins Gericht - was zu erwarten war. Aber auch der SPD bescheinigt er, im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung „unterkomplex” zu sein und dass beim ePerso die Bezahl- mit der Identifizierungsfunktion verknüpft wird, sieht er problematisch.
    Die Zeit der Volksparteien klassischer Provenienz ist für ihn vorbei. An ihre Stelle treten Konzeptparteien, die sich auch für Nicht-Mitglieder öffnen müssen.

    Thomas Pfeiffer: Wenn man die netzpolitische Debatte in Deutschland verfolgt, gewinnt man manchmal den Eindruck, dass die treibenden Kräfte in der Netz-Diskussion die Konservativen sind, während linke, grüne und alternative Akteure oftmals „hinterherhinken” und re-agieren. Ilse Aigner hat Facebook und Google den Kampf angesagt, Thomas de Maizière will heimliche Online-Durchsuchungen und auch in der Debatte um das sog. Zugangserschwerungsgesetz („#zensursula”) re-agieren die Grünen, ohne selber die Initiative zu ergreifen. Man wartet, welchen Blödsinn „die andere Seite” verzapft und kämpft dann dagegen an. Was ist aber der positive, progressive Netz-Gesellschaftsentwurf der Grünen?

    Konstantin von Notz ist innen- und netzpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

    Dr. Konstantin von Notz: [Verlinkungen von Thomas Pfeiffer] Ich denke, dass die Konservativen nur die treibende Kraft in Sachen Netzpolitik sind, wenn es darum geht, die Freiheiten des Netzes weiter zu beschränken. Das verstehe ich aber nun wirklich nicht unter Netzpolitik. Echte, progressive Netzpolitik muss die immensen Vorteile und Chancen, die uns das Netz bietet, ins Zentrum der politischen Debatte stellen und zwar auf der Grundlage, dass man Veränderungen und Umbrüche nicht aufhalten kann, sondern sie gestalten muss. Konservative versuchen all zu oft, die alte sicherheitspolitische Denke 1:1 auf das Netz zu übertragen. Das ist der völlig falsche Ansatz, denn Digitalisierung und Netz verändern schon allein unser altes Verständnis vom Öffentlichen Raum in einer Art und Weise, dass alte ordnungspolitische Ansätze eben nicht 1:1 übertragbar sind. Gutes Beispiel für diese Verweigerungshaltung gegenüber neuen Realitäten ist die augenblicklich vorangetriebene Diskussion um eine rasche Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Da wird von einigen einfach weiter die für verfassungswidrig erklärte Vorratsdatenspeicherung auch zur Bekämpfung von mittlerer und leichter Kriminalität gefordert, als hätte es das Urteil im zurückliegenden März in Karlsruhe nicht gegeben.

    „Bei Union und SPD wird unterkomplex gesprochen”

    Ein Urteil, das versucht, den neuen Zeiten gerecht zu werden und erkennt, dass diese Art der Kommunikationsüberwachung im Jahr 2010 praktisch totale Überwachung bedeutet. Trotzdem wird bei der Union, aber auch innerhalb der SPD unterkomplex immer wieder von einer raschen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gesprochen – und das trotz der Tatsache, dass der zweijährige „Testlauf” in Deutschland keinen irgendwie messbaren Vorteil für die Strafverfolgungsbehörden gebracht hat und die entsprechende Richtlinie nach wie vor auf europäischer Ebene evaluiert wird.

    „Ilse Aigner lässt deutsche Nutzerinnen und Nutzer datenschutzrechtlich im Regen stehen”

    Nicht viel besser sieht es im Bereich des Datenschutzes aus. Während sich Innenminister und Justizministerin weiterhin um die Deutungshoheit in Sachen Netzpolitik streiten, kehrt die von Ihnen angesprochene Verbraucherschutzministerin – statt politisch zu handeln – Facebook einfach persönlich den Rücken zu, löscht ihr privates Profil und lässt Millionen deutscher Nutzerinnen und Nutzer datenschutzrechtlich im Regen stehen – in meinen Augen nichts anderes als ein Offenbarungseid politischer Hilf- und Sprachlosigkeit.

    Bezüglich der Debatte um das Zugangserschwerungsgesetz haben wir mit unseren Anträgen die Anhörungen im Unterausschuss Neue Medien und im Rechtsausschuss zu dem Thema durchgesetzt, und deutlich gemacht, dass die Bundesregierung in diesem Bereich bisher auf eine reine Placebo-Politik setzt. Wir brauchen aber endlich eine mehrdimensionale Strategie gegen Kindesmissbrauch, bei der die Bekämpfung der Darstellung dieses Missbrauchs im Internet nur ein Baustein sein kann. Nur so können wir tatsächliche Strafverfolgung gewährleisten und Missbrauchstaten dort bekämpfen, wo sie tatsächlich passieren – nämlich in Familien, Schulen, Vereinen, Internaten etc..

    „Missbrauchstaten dort bekämpfen, wo sie tatsächlich passieren”

    Insgesamt denke ich, können wir Grüne schon behaupten, die netzpolitische Debatten voranzutreiben – nicht nur auf unserem gerade durchgeführten netzpolitischen Kongress, wo wir vor allem an unseren progressiven Konzepten im Bereich Open Data, Open Government, einer Kulturflatrate und neuer Beteiligungsformen gearbeitet haben, sondern auch im Parlament mit Anträgen, Anfragen, Anhörungen und Fachgesprächen zu den Themen Datenschutz, Netzneutralität, Urheberrecht, Informationsfreiheit und Netzsperren.

    Bundestagsrede von Konstantin von Notz am 16. Dezember 2010 zur Vorratsdatenspeicherung

    Du hast die „Kulturflatrate” erwähnt, ein pauschales Vergütungsmodell für kulturelle Inhalte. Ist so eine Pauschale, bei der noch nicht mal klar ist, was unter „Kultur” überhaupt verstanden werden kann, nicht ein Rückfall in den Staatssozialismus? Wo bleibt da die Unabhängigkeit der Künstler_innen und Konsument_innen?

    Nun, den Vorwurf des „Staatssozialismus”hört man ja ab und zu - meist allerdings von denen, die derzeit selbst ein auch recht sozialistisch anmutendes Leistungsschutzrecht fordern. Wir selbst sagen nicht, dass eine Kulturfaltrate die Lösung aller Urherrechtprobleme in der digitalisierten Welt bedeutet. Aber sie könnte eben ein Baustein in einem Gesamtkonzept einer Reform des Urheberrechts sein. Auch bei Einführung der Geräte- und Leermedienabgabe wusste niemand so recht, wie die Einnahmen verteilt werden sollten und heute funktioniert es und ich habe schon lange niemanden gehört – außer den Geräteherstellern – der die Abschaffung dieses Instruments fordert. So oder so werden wir aber um eine Reform des Urheberrechts nicht herumkommen, um den fundamentalen Veränderungen durch Digitalisierung und Internet gerecht zu werden.

    Das Internet ist ja nicht nur Raum für politische Agitation und kulturellen Austausch. Es ist auch Wirtschaftsraum und Marktplatz für Waren und Dienstleistungen, mit denen Geld verdient werden soll. Mit dem elektronischen Personalausweis möchte die Bundesregierung u.a. das Bezahlen im Internet vereinfachen, die Grünen haben Sicherheitsmängel beim ePerso kritisiert. Ist internetfähiges Geld nicht ein wichtiger Baustein für unsere moderne (Netz-)Gesellschaft? Wie könnte es stattdessen aussehen?

    Sicher, das Netz ist bereits heute ein bedeutender Wirtschaftsraum. Ganze Geschäftsfelder sind ins Netz abgewandert. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich diese Entwicklung in Zukunft fortsetzen wird. Und natürlich ist internetfähiges Geld ein wichtiger Baustein für die Weiterentwicklung unserer moderne Netzgesellschaft. Aber das Problem beim ePerso ist – und das haben wir immer wieder kritisiert -, dass er eine Bezahlfunktion mit einer Identifizierungsfunktion verbindet. Ein Perso mit integrierter Master-Card ausgestellt vom Einwohnermeldeamt. Diese Vermischung ist problematisch. Bisher hat es der wirtschaftlichen Entwicklung des Internets nicht geschadet, dass es keine 100%ige Identitfikationsmöglichkeit gegeben hat. Die Vertragspartner haben gute und offensichtlich erfolgreiche Mittel und Wege gefunden damit umzugehen. Der ePerso mit seiner Suggestion, 100%ig zu wissen mit wem man es zu tun hat, wird echten Identitätsdiebstahl erst ermöglichen. Denn die letzten Wochen und Monate haben gezeigt: Das System ist nicht ausreichend sicher, die Ausweis-App wurde gehackt, die Kartenlesegeräte manipuliert und die ersten mit Fehlern behafteten Ausweise wurden verschickt.

    „Die Vermischung von Bezahl- und Identifizierungsfunktion ist problematisch”

    Was ich nicht verstehe: Auf der eigenen Homepage warnt das zuständige Bundesinnenministerium davor, die Lesegeräte der billigeren Kategorie nicht zu verwenden, da diese unter Umständen auslesbar seien. Gleichzeitig verteilt die Bundesregierung eben diese Lesegeräte weiterhin und rät, dass diejenigen, die mehr Sicherheit wollen, dafür mehr bezahlen sollten. Ein Zwei-Klassen-Sicherheitssystem, bei dem derjenige mehr Sicherheit bekommt, der sie sich leisten kann, entspricht nicht meinem Verständnis der Ausgestaltung eines staatlichen Angebots. Zur Frage nach Alternativen: Ich glaube wie gesagt, schon heute kann man gut im Netz einkaufen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es zukünftig im Netz möglich sein muss – gerade wenn es um kleinere Summen geht – wie bei „Geschäften des täglichen Lebens”, diese auch anonym zahlen zu können. Alternative Konzepte könnten daher Prepaid-Lösungen einschließen, so dass man sich bei einem Online-Händler nicht mehr einzeln identifizieren müsste. Insgesamt halte ich den ePerso auch für einen Versuch, das bisher bestehende Recht eines anonymen Bewegens im Netz aufzubohren. Das halte ich für falsch.

    Der Aufstieg des Internets und des Web 2.0 geht auch einher mit einer Zersplitterung der Gesellschaft. Anhänger und Gegner von Stuttgart 21 führen auf Facebook keinen Dialog miteinander, sondern nur übereinander. Aus ursprünglich drei Bundestagsparteien sind zuerst vier, jetzt sogar fünf geworden. Braucht es nicht aber große Volksparteien, die eine integrative Kraft ausstrahlen und die Gesellschaft einen können, statt sie zu spalten?

    Ich sehe es ehrlich gesagt nicht so, dass Anhänger und Gegner von Stuttgart 21 keinen Dialog miteinander führen – im Gegenteil: Ich selbst diskutiere über Twitter und Facebook sowohl mit Befürwortern als auch mit Gegnern des Projekts. Dabei genieße ich die Möglichkeit, mich mit Menschen aus Stuttgart über die Vor- und Nachteile des Projekts austauschen, was ohne das Netz und die direkte gleichberechtigte Kommunikation nicht möglich wäre. Insgesamt bin ich der festen Überzeugung, dass das Netz eine enorme Rolle dabei spielen kann, unsere Demokratie zu revitalisieren.

    „Die Zeit der Volkspartei ist vorbei”

    Unsere Gesellschaft ist heterogener und bunter geworden. Die Zeit der Volksparteien ist vorbei. Wir wollen als Grüne Konzeptpartei sein und dabei spielt das Netz für uns eine wichtige Rolle. Die Fähigkeit auf Augenhöhe miteinander in der Sache zu streiten, alle Interessen zu beteiligen und dabei transparent nach vernünftigen Lösungen zu suchen, ist zentral in unserem 5-Parteien-System und kann die nötige integrative Kraft sein. Genau dies bieten uns Internet und Web 2.0.

    Der Politologe Christoph Bieber fragt sich, ob Parteien klassischer Provenienz nicht ein Auslaufmodell sind. An ihre Stelle treten Themennetzwerke, die sich immer wieder neu zusammenfinden und ohne starre Hierarchien auskommen. Clay Shirky nennt das: „Here comes everybody“. Die Grünen testen etwas Ähnliches gerade mit ihrer Plattform Wurzelwerk. Sind die Grünen diesbezüglich fit für die Zukunft? Bzw. ändert sich die Rolle politischer Parteien dadurch, dass sich die Bürgerinnen und Bürgern zunehmend ohne sie als Vermittler oder Plattform untereinander austauschen und vernetzen können?

    Ich teile die Aussage Biebers so nicht. Wie gesagt, die Zeit der Volksparteien nähert sich aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen dem Ende. Aber die Organisation unserer Demokratie mit Parteien ist verfassungsrechtlich verankert. Dieses System hat auch seine Schwierigkeiten, aber es ist noch niemandem ein besseres eingefallen. Aber wir müssen natürlich diskutieren, wie wir diese Parteiendemokratie verbessern und reformieren können. Ich denke, politischen Parteien wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle dabei zu kommen, gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse zu bündeln. Die von Bieber aufgeworfene Frage, ob Parteien angesichts von Internet und Digitalisierung noch einen „Alleinvertretungsanspruch” haben, ist dennoch interessant. Ich teile Biebers Ansicht, dass Internet und Digitalisierung es zunehmend auch anderen Organisationen, Arbeitskreisen und Institutionen ermöglichen, zu relevanten politischen Playern zu werden. Eine Entwicklung, die man meines Erachtens nach – auch und gerade als Mitglied einer politischen Partei – begrüßen sollte. Anstatt sie als Bedrohung zu empfinden, wären die politischen Parteien gut beraten, diese Entwicklung als positiv zu sehen und durch sie aufgeworfene neue Impulse in die politische Praxis aufzunehmen.

    „Parteien müssen sich öffnen und auch Nicht-Parteimitglieder in ihre Strukturen einbinden”

    Parteien müssen sich öffnen, zunehmend auch Nicht-Parteimitglieder in ihre Strukturen einbinden und Politik insgesamt transparenter gestalten. Ich denke, wir Grünen sind hier aufgrund unserer traditionellen Nähe zur Zivilgesellschaft sehr gut aufgestellt. Seit jeher ist es unser Anspruch, als Partei offen und transparent Politik so zu gestal­ten, dass Interessierte mitmachen und sich einbringen können. Wir arbeiten eng mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammen, wir ermöglichen politische Mitarbeit in Parteigremien – auch für Nicht-Parteimitglieder – und auf unseren Websites bieten sich Kommentarfunktionen. Wir haben als erste Fraktion im Deutschen Bundestag die Mitarbeit an einer eigenen Gesetzesinitiative ermöglicht, die wir vor der Verabschiedung in der Fraktion online zur Diskussion gestellt haben. Wir setzen auf Kollaborationstools für die Erarbeitung parlamentarischer Initiativen und wollen diese Möglichkeiten in Zukunft ausbauen. Wir diskutieren auch abseits klassischer Fachgespräche (z.B. in Barcamps) mit all denjenigen, die an der Weiterentwicklung unserer politischen Konzepte mitar­beiten wollen. Die grüne Jugend experimentiert zudem bereits mit neuen Internet-ba­sierten demokratischen Delegations- und Entscheidungsfindungstechniken wie Adhoc­racy. Wir empfinden den gesteigerten Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung nicht als störende Einmischung, sondern als bereichernden Input. Den eingeschlagenen Weg einer weiteren Öffnung unserer Partei- und Fraktionsstrukturen wollen wir fortsetzen. Um unser Ziel durchzusetzen, staatliche Strukturen zu öffnen, wollen wir auch weiter­hin mit gutem Beispiel vorangehen und die große Chance, die uns bei einer benötigten Revitalisierung unserer Demokratie auch das Internet bietet, nicht ungenutzt lassen.

    Lesen Sie auch andere Interviews mit Sascha Lobo, Robert Habeck, Dieter Janeck oder Christoph Bieber.

  • Eine Reaktion

    Kommentare

    1. Carlo Backhausen

      6. Januar 2011

      “Unterkomplex” scheint eine neue Modewort-Kombination zu sein.
      Das Wort schmückt seinen Erfinder, treibt aber, weil es den damit
      Konfrontierten, dem der Sprechende die Erklärung schuldet, in die
      Devensive.

      Und was meint Konstantin von Notz, wenn er schreibt:

      “Parteien müssen sich öffnen und auch Nicht-Parteimitglieder in ihre
      Strukturen einbinden”

      Möchter er sich damit zum Sprecher aller Parteien machen ? Oder spricht er für die GRÜNEN ? Und wenn er für die GRÜNEN spricht,
      möchte er den Nicht-Partei-Mitgliedern den Beitritt und den Beitrag
      ersparen - oder gar die “Ochsentour” durch die Instanzen, damit sie
      sogleich, wenn er ihre hohe Qualifikation erkannt hat, ins Partei-Es-
      tablishment einziehen können, am “kleinen” Parteivolk vorbei ?

      Konstantin, bitte antworte nicht weitschweifig. Du kannst es doch,
      das zeigen dein Ausdrücke wie “Perso” für Personalausweis und
      “App” für Applikation (wofür zwanzig [zwanzig] Deutungen möglich
      sind, falls du nicht “Anwendung” meinst).

      Schöne Grüße vom Kanal von
      Carlo Backhausen

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