• Dieter Janecek: „Das Web ist Ergänzung in einer repräsentativen Demokratie”

    Twittern

    Letzten Sonntag wurde Dieter Janecek mit 89,1% als Landesvorsitzender der bayerischen Grünen wiedergewählt. Ich habe der 34 Jahre alte Politikwissenschaftler, der selber aktiv twittert und facebookt, zur Demokratie 2.0 und Mitmach-Web befragt.

    Thomas Pfeiffer: Dieter, Du warst Anfang Oktober bei der Petra-Kelly-Stiftung auf einem Podium mit dem lustigen Titel „Yes we twitter”. Was kann die deutsche bzw. bayerische Politik von Barack Obama lernen?

    Dieter Janecek: Lernen können wir, wie ungeheuer effektiv das Web mittlerweile zur Mobilisierung und Steuerung von politischen Kampagnen eingesetzt werden kann. Allerdings ist vieles auch nicht übertragbar. Weder werden wir uns in Bayern eine solche Ausnahmefigur mit der ungeheuren Strahlkraft eines Barack Obama backen können, noch stehen uns Hunderte von Millionen Dollar für den Wahlkampf zur Verfügung inklusive einer gigantischen Campaigning-Industrie, wie sie in den USA vorherrscht. Ich konnte mir 2007 davon in Washington selbst ein Bild machen. Der Grad an zielgruppen-spezifischem Wahlkampf dort ist schier unglaublich. Die Bush-Kampagne 2004 hat z.B. Telefonkonferenzen mit dem damaligen Präsidenten in den Einzelstaaten mit jeweils rund 50.000 Anhängerinnen und Anhängern durchgeführt. Unvorstellbar für Deutschland.

    Dieter Janecek

    Dieter Janecek, twitternder Landesvorsitzender der Grünen in Bayern (Foto: Günther Sandmeyer, Grüne Landshut)

    Die Grünen in Bayern arbeiten seit Jahren mit ihren Möglichkeiten mit dem Netz sehr strategisch. So haben wir für unseren mittlerweile leider verstorbenen Spitzenkandidaten Sepp Daxenberger 2008 mit Low Budget einen Zeichentrickfilm produziert, der sich viral gut vermarkten ließ. Auch waren wir die Ersten, die Großflächenplakate flächendeckend in Bayern übers Netz auf Spendenbasis angeboten haben. So was kommt oft besser an als die Möglichkeit, direkt zu spenden.

    Für die erfolgreiche Anti-Atom-Demo in München am 9. Oktober war das Web durchaus auch ein starkes Hilfsmittel zur Mobilisierung. Freilich kann eine gute Web-Kampagne aber nie politische Inhalte und Glaubwürdigkeit ersetzen.

    Du selber facebookst und tiwtterst ja auch. Darunter sind solche Tweets wie „SZ hat gerade angerufen, haben noch kein Foto mit Bart”. Was willst Du Deinen knapp 800 Followern damit sagen?

    Meine Tweets bestehen zu 80% aus Links mit politischem Inhalt, die ich interessant bis brisant finde und gerne weitergebe. Außerdem verbreite ich meine Blogbeiträge sowie Fotos von unterwegs über Twitter und Facebook. Ab und zu lass ich mich aber auch von meinen Stimmungen und meinem Sinn für Humor treiben. In dem von Dir beschriebenen Tweet ging es schlicht darum, dass ich mir seit ein paar Wochen einen Vollbart habe wachsen lassen und die Süddeutsche Zeitung für ein Portrait über mich zu Beginn des letzten Parteitages verzweifelt auf der Suche nach einem bebarteten Foto war. Das entbehrte nicht ganz der Komik damals. Aber wer jedes Mal ewig nachdenkt, bevor einen Tweet ins Nirvana schickt, hat das Prinzip von Twitter ohnedies nicht verstanden aus meiner Sicht.

    „Eine gute Web-Kampagne kann nie politische Inhalte und Glaubwürdigkeit ersetzen.”

    Facebook nutze ich sehr stark zur Kommunikation mit der grünen Basis sowie einigen Multiplikatoren. Und natürlich kriegen so auch eine ganze Reihe von Freunden aus dem nicht-politischen Umfeld mit, was ich so treibe. Letztlich sind beide Medien für mich auch eine Art nachvollziehbares Tagebuch, das meine Arbeit transparent macht. Und ich erlebe ja als Landesvorsitzender der Grünen durchaus auch so einige interessante Begegnungen im Alltag, die es wert sind, mitgeteilt zu werden. Das Feedback ist auf jeden Fall rege.

    Der Aufstieg des Internets und des Web 2.0 geht auch einher mit einer Zersplitterung der Gesellschaft. Anhänger und Gegner von Stuttgart 21 führen auf Facebook keinen Dialog miteinander, sondern nur übereinander. Aus ursprünglich drei Bundestagsparteien sind zuerst vier, jetzt sogar fünf geworden. Braucht es nicht aber große Volksparteien, die eine integrative Kraft ausstrahlen und die Gesellschaft einen können, statt sie zu spalten?

    Ich habe das Web immer als Ergänzung von Politik und Kommunikation in der für mich weiterhin maßgebenden repräsentativen Demokratie gesehen, nie als möglichen Ersatz hierfür oder gar als einlösbares Versprechen direkter Demokratie. Das Modell der klassischen Volkspartei hat in einer Gesellschaft, die sich immer stärker individualisiert und in der vielfältige Nischen und Interessen mittlerweile ja oft den Mainstream darstellen, aus meiner Sicht ausgedient. Die Möglichkeiten, sich zu informieren, sind heute ja nahezu unbegrenzt und dies in Echtzeit. Deshalb lassen sich die Menschen wie bei Stuttgart 21 auch nicht mehr mit dem alten Muster an angeblich alternativlosen Erklärungen einfach abspeisen. Die Parteien müssen sich also schon mehr einfallen lassen, um Bürgerinnen und Bürger heute dauerhaft an sich zu binden. Die Grünen haben aus meiner Sicht mit ihrem Leitbild von Ökologie und Nachhaltigkeit, mit dem sich wesentliche Politikfelder stringent verbinden lassen, hier einen Vorteil. Heute sind Konzeptparteien, die Lösungen anbieten, mehr denn je gefragt.

    „Das Modell der klassischen Volkspartei hat in einer Gesellschaft, die sich immer stärker individualisiert und in der vielfältige Nischen und Interessen mittlerweile ja oft den Mainstream darstellen, aus meiner Sicht ausgedient”

    Insgesamt ist aber auch zu beobachten, dass Trends bis hin zu Hypes und Hysterien gerade für die Politik immer schwerer vorherzusehen sind und die Erregungsschwellen immer kürzer werden. Das hat sicher nicht nur Vorteile. Die ZEIT hat sich in einem kürzlich erschienen Leitartikel über „das erregte Land” ausgelassen, in dem „die Launen von Bürgern und Medien etwas Manisches bekommen” haben. Diese These ist für mich nicht völlig von der Hand zu weisen. Insofern beobachte ich diese Trends als Grüner, dessen Partei sich in einem Stimmungshoch befindet, durchaus auch mit Vorsicht.

    Der Politologe Christohph Bieber fragt sich, ob Parteien klassischer Provenienz nicht ein Auslaufmodell darstellen. An ihre Stelle treten Themennetzwerke, die sich immer wieder neu zusammenfinden und ohne starre Hierarchien auskommen. Clay Shirky nennt das: “Here comes everybody“. Die Grünen testen etwas Ähnliches gerade mit ihrer Plattform Wurzelwerk. Sind die Grünen diesbezüglich fit für die Zukunft? Bzw. ändert sich die Rolle politischer Parteien dadurch, dass sich die Bürgerinnen und Bürgern zunehmend ohne sie als Vermittler oder Plattform untereinander austauschen und vernetzen können?

    Wir experimentieren seit Jahren viel u.a. mit unserem Netzwerk www.netzbegruenung.de und sind aufgrund unserer basisdemokratischen Prägung aus meiner Sicht wohl auch am ehesten in der Lage, uns auf diesen Wandel einzustellen. Politik 2.0 heißt nämlich im Wesentlichen auch, ein Stück Kontrollverlust zuzulassen. Debatten von unten aufnehmen, einbinden, in den verschiedenen Themen- und Bürger-Initiativen präsent sein, innovative Diskussionformate testen, Dialogforen gründen und Ergebnisse daraus dann auch umzusetzen - da sind wir bereits dabei. „Mein Bayern” heißt unser Beteiligungs- und Zukunftsprozess, mit dem wir ganz grundsätzliche Fragestellungen von der Wachstumskritik bis zu einem neuen Heimatbegriff angehen. Die ersten Erfahrungen sind sehr gut, der Beteiligungsgrad ist hoch und es gelingt durchaus auch, Externe in den Prozess mit einzubinden, was ich für unverzichtbar halte.

    „Ich habe das Web immer als Ergänzung von Politik und Kommunikation in der für mich weiterhin maßgebenden repräsentativen Demokratie gesehen.”

    Reine Themennetzwerke werden Parteien allerdings nie ersetzen können, da diese einen gesamtgesellschaftlichen Entwurf anbieten, der aus meiner Sicht unerlässlich ist. Ohne gemeinsam erarbeitete und gelebte Werte, die man auf die verschiedensten Politikfelder durchdekliniert, würde Politik aus meiner Sicht auch auf Dauer ihre Sinnhaftigkeit verlieren. Deshalb ist es auch notwendig, dem vorhandenen Parteien-Bashing in Medien und Volksmeinung wieder wirksamer entgegenzutreten. Entgegen der oft verbreiteten Meinung im Volke und auch Teilen der Medien sind in den Parteien nämlich durchaus viele idealistische, meist ehrenamtlich viel Zeit investierende Menschen mit klugen Ideen und dem Willen zur Veränderung aktiv. Hier müssen wir als Gesellschaft auch wieder mehr Wertschätzung geben, aber freilich auch glaubwürdigere und bessere Angebot für die Anschlussfähigkeit von Parteien machen.

    Vielen Dank für das Interview.

    Lesen Sie auch andere Interviews mit Sascha Lobo, Konstantin von Notz, Dieter Janeck oder Christoph Bieber.

  • 3 Reaktionen

    Kommentare

    1. Jule

      27. Oktober 2010

      Hervorragende Ansätze in Sachen Themennetzwerk. Aber natürlich pflichtet das Mitglied einer Partei dem bisherigen System weitgehend zu. Allerdings finde ich in allen politischen Parteien kompetente Fachleute und würde mir eine Regierung durch die besten wünschen, nicht den aktuellen Vierjahres-Wahnsinn.

      (Antworten)

    2. Benjamin Stöcker
      (@einfachBen)

      27. Oktober 2010

      Ich finde es schon faszinierend wie in dem Interview über die Piraten einfach hinweg gegangen wurde.

      So haben die Piraten als einzigste Partei ein halbwegs repräsentatives Umfragetool für ihre Mitglieder im Einsatz und gehen damit wirklich neue Wege. Die Grünen hinken hier noch einiges hinterher.

      Vor allem verstehe ich nicht, warum das Internet nur eine Ergänzung zur repräsentativen Demokratie sein soll.

      Einen demokratisches Medium als das Internet ist kaum vorstellbar - genau deswegen kommen ja die Parteien und versuchen die Freiheiten dort so stark einzuschränken. Und die Grünen machen doch freudig mit bei dem Spiel, ich sage hier nur JMStV.

      In Thüringen zugestimmt und in Bayern scheint es mir wird er abgelehnt, weil er das Internet im Namen des Jugendschutzes nicht weit genug einschränkt.

      (Antworten)

  • Trackbacks

    1. Anti-Atom-Websoziologie | vtaktuell
  • Bitte kommentieren Sie:

  • Name (Pflichtfeld):

    E-Mail (Pflichtfeld):

    Webseite:

    Twittername:

    Kommentare zu diesem Beitrag als rss-Feed abonnieren

    Ihr Kommentar: