Bild Dir Deine Meinung – so lange Du noch darfst …
Vom Webevangelisten Luis Pistor.
Am 25. Februar tagt in Hamburg die Heilige Inquisition. An diesem Tag entscheidet das dortige Landgericht darüber, ob der Journalist Stefan Aigner weiter seine Meinung zu einer Schweigevereinbarung, Geldzahlungen und einem eventuell bestehendem (von der Diözese mit gerichtlicher Hilfe bestrittenem) Zusammenhang äußern darf.
Derzeit ist Aigner seine Meinung per Einstweiliger Verfügung des Landgerichts Hamburg verboten – bei einer Strafandrohung von 250.000 Euro. Dank der breiten Solidarität im Netz wehrte er sich aber dagegen und steht mit der Diözese derzeit vor Gericht. Zeit, bekannte und unbestrittene Fakten auf den Tisch zu legen. Schließlich soll sich jeder seine eigene Meinung bilden können. Und Gott bewahre mich davor, hier einen falschen Eindruck zu erwecken. Ich habe keine 250.000 Euro.
Wie kam es zu der Einstweiligen Verfügung gegen Aigner?
Am 7. März veröffentlichte er im Online-Magazin regensburg-digital.de unter dem Titel „Aufklärung auf katholisch“ einen Kommentar. Der Tenor: Es ist grotesk, wenn die katholische Kirche – insbesondere in Regensburg – ankündigt, Missbrauchsfälle aufzuklären, die bei der katholischen Kirche stattgefunden haben. Es ist grotesk, wenn sie nun um das Vertrauen der Opfer bittet. Es ist grotesk, dieser Kirche Glauben zu schenken.
Für diese, seine Meinung führt Aigner mehrere Beispiele an, unter anderem schreibt er:
„Und beim Vertuschen von Missbrauch zeigt man sich äußerst kreativ. […] Opfer eines pädophilen Pfarrers in Riekofen erhielten Schweigegeld. Das Bistum Regensburg hat das stets bestritten. Es habe keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Zahlung und dem vereinbarten Schweigen gegeben, behauptet das Bistum. „Es geht Ihnen nicht um die Opfer, sondern vor allem darum, dass nichts an die Öffentlichkeit kommt?, sagt eines der Opfer dem Spiegel.“
Diese Passage verlinkt Aigner komplett auf einen juristisch nie angegriffenen Spiegel-Artikel aus dem Jahr 2007 mit der Überschrift „Schweigen gegen Geld“. Ende März erhält Aigner von der Diözese Regensburg die Aufforderung, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Folgende Formulierung sei unrichtig:
„Opfer eines pädophilen Pfarrers in Riekofen erhielten Schweigegeld. Das Bistum Regensburg hat das stets bestritten. Es habe keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Zahlung und dem vereinbarten Schweigen gegeben, behauptet das Bistum. ‘Es geht Ihnen nicht um die Opfer, sondern vor allem darum, dass nichts an die Öffentlichkeit kommt?’, sagt eines der Opfer dem Spiegel.“
Gegen den Spiegel habe man wegen einer ähnlichen Formulierung (in einem Artikel aus dem Jahr 2010 wohlgemerkt) schon ein Einstweilige Verfügung erwirkt, so die Rechtsanwälte der Diözese.
Aigner unterschreibt nicht. Er erklärt sich aber rechtsverbindlich bereit, die Formulierung „Opfer eines pädophilen Pfarrers in Riekofen erhielten Schweigegeld“ bis zum Ende des Rechtsstreits der Diözese mit dem Spiegel nicht mehr zu wiederholen. Stattdessen schreibt er:
„Ein Opfer des pädophilen Pfarrers von Riekofen erhielt eine Geldzahlung, welche nicht nur in den Augen unserer Redaktion den Beigeschmack einer Schweigegeldzahlung hat. [...]“
Von der Diözese kommt keine Antwort. Stattdessen folgt kurz darauf eine Einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, die Aigner bei Strafandrohung von bis zu 250.000 Euro beide Formulierungen verbietet.
Aigner dürfe nicht den Eindruck erwecken, dass die Diözese „durch Vermittlung einer Geldzahlung“ bewirken wollte, dass „der in Rede stehende Vorfall nicht an die Öffentlichkeit gerät“.
Kommen wir zu dem „in Rede stehenden Vorfall“. Anders ausgedrückt, den sexuellen Missbrauch eines elfjährigen Jungen im niederbayerischen Viechtach durch den Kaplan Peter K. im Jahr 1999. Die Eltern erfuhren davon und wandten sich an die Diözese. Sie hatten seinerzeit Angst, dass ihr Sohn in dem erzkatholischen Örtchen öffentlich an den Pranger gestellt werden könnte. Nach monatelangen Verhandlungen trafen Diözese und Kaplan auf der einen und die Eltern des missbrauchten Jungen auf der anderen Seite eine Vereinbarung mit folgenden wesentlichen Punkten:
- Es wurde beiderseitiges Stillschweigen vereinbart, „auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern und im wohlverstandenem Interesse der Kinder“.
- Es wurde die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 6.500 Mark vereinbart.
- Die Diözese sagte zu, sämtliche „medizinisch indizierten“ Therapiekosten für den elfjährigen Jungen und seine beiden Geschwister, die den Missbrauch mitbekommen hatten, zu übernehmen.
Wenig später zeigte ein Mitglied aus der Therapiegruppe des Vaters den Priester an. Die Familie erhielt daraufhin ein Schreiben der Diözese, in dem es unter anderem heißt:
„Inzwischen läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Deggendorf gegen Herrn K[...]; deshalb waren wir etwas überrascht, dass die Vereinbarung bei uns eingegangen ist, kurz nachdem sich die Staatsanwaltschaft gemeldet hat. Man sollte zunächst das Ergebnis der Ermittelungen und eines möglicherweise folgenden gerichtlichen Verfahrens abwarten, bis weitere Leistungen erbracht werden. Die Vereinbarung haben wir auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Wir hoffen, dass die Angelegenheit für beide Seiten zu einem erträglichen Ergebnis führt, Wir bedanken uns für Ihre Bemühungen und verbleiben [...]“
Das Ergebnis der Ermittlungen: Der Priester wurde per Strafbefehl zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der sexuelle Missbrauch wurde ansonsten nicht öffentlich. Die Diözese bezahlte Therapiekosten.
2007 erfuhr die Familie des missbrauchten Jungen, dass Peter K. bereits seit über fünf Jahren in der Gemeinde Riekofen arbeitet. Dort wusste niemand etwas von seiner kriminellen Vergangenheit. Die Familie ging an die Öffentlichkeit. Zeitgleich flog auf, dass Peter K. auch in Riekofen mindestens einen Ministranten über Jahre sexuell missbraucht hatte. Er wurde dafür zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Bei der Familie aus Viechtach brachen die Ereignisse aus dem Jahr 1999 wieder auf. Sie beantragte bei der Diözese erneut Therapien. Über einen Rechtsanwalt lehnte die Diözese die Übernahme von Therapiekosten für die Mutter, die Geschwister und den 1999 missbrauchten Jungen ab. In dem Schreiben heißt es unter anderem:
Die Zahlungen in der Vergangenheit „basierten auf dem wohlwollenden Entgegenkommen des Ordinariats.“ Der Vorwurf, dass es sich bei den Zahlungen um „Schweigegeld“ handle sei „unredlich“. Die nun beantragten Therapien seien entweder von der Vereinbarung nicht gedeckt oder medizinisch nicht notwendig. Auch das vereinbarte Schweigen wird in dem Anwaltsschreiben erwähnt. Natürlich, ohne einen Zusammenhang mit den abgelehnten Zahlungen herzustellen.
Die Familie ist bislang auf Kosten von mindestens 1.000 Euro sitzengeblieben.
Wie bei der ersten Verhandlung gegen Aigner zu erfahren war, bestreitet die Diözese, jemals die Zahlung irgendwelcher Therapiekosten verweigert zu haben. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk hat die Mutter des missbrauchten Jungen kürzlich angegeben, sie empfinde die Zahlungen der Diözese Regensburg im nachhinein als Schweigegeld.
Erweckt damit die Formulierung, die Aigner derzeit verboten wird, einen falschen Eindruck?
Noch einmal zum Mitlesen:
„Und beim Vertuschen von Missbrauch zeigt man sich äußerst kreativ. […] Ein Opfer des pädophilen Pfarrers von Riekofen erhielt eine Geldzahlung, welche nicht nur in den Augen unserer Redaktion den Beigeschmack einer Schweigegeldzahlung hat. Das Bistum Regensburg hat das stets bestritten. Es habe keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Zahlung und dem vereinbarten Schweigen gegeben, behauptet das Bistum. ‘Es geht Ihnen nicht um die Opfer, sondern vor allem darum, dass nichts an die Öffentlichkeit kommt?’, sagt eines der Opfer dem Spiegel.“
Bild Dir Deine Meinung, so lange Du noch darfst…
Epilog: Der Spiegel hat sein Verfahren gegen die Diözese Regensburg in erster Instanz verloren und diskutiert noch darüber, ob er in die zweite Instanz gehen will.
Aigner hat für den Fall einer Niederlage vor Gericht bereits Berufung angekündigt.
Lieber konfessionslos als überhaupt keinen Anstand mehr…!?
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(@kaffeebeimir)
Ich unterstütze die Aktion Solidarität mit Stefan Aigner auf Facebook.
Mach doch bitte in dem Zusammenhang “- so lange du noch darfst” auch auf das hier aufmerksam: http://www.netzpolitik.org/2011/jetzt-handeln-netzsperren-auf-eu-ebene-verhindern/
Nicht nur die Sta. Ecclesia versucht, die Meinungsfreiheit zu beschneiden.
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(@wurzellicht)
Wer wissen will, was in Regensburg für den Freitag 25.2. zur Unterstützung von http://www.regensburg-digital.de so angedacht ist, der möge mal die letzten Kommentare unter dem zuletzt erschienen Artikel lesen…
http://www.regensburg-digital.de/in-eigener-sache-landgericht-hamburg-entscheidet-im-rechtsstreit-der-diozese-regensburg-gegen-spiegel/21012011/
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(@hannesrecker)
“Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.”
Ob das der richtige Weg der rk Kirche ist?
Wahrheit ist nicht, was für die rk Kirche wahr ist.
Die Kirche hat vorallem auch das Leben ihrer Schutzbefohlenen zu schützen - dies sind sicher nicht an erster Stelle die Pfarrer.
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(@r_digital)
Vielen Dank für die umfängliche und zutreffende Darstellung.
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(@mixxar)
Leider ist es in der heutigen Zeit so, dass Religionen in den Staaten geschützt sind wie ausländische Diplomaten. Warum ist das so? Ich denke, die Frage ist schwer zu beantworten. Es mag ein schlechtes Gewissen sein, dass ja doch jemand unser Schöpfer sein könnte. Der Hauptgrund ist wohl eher der enorme Einfluss auf das Volk. Religiöse Führer zu verärgern, kann im schlimmsten Fall einen Regierungssturz herbeiführen, da das Groß der Gläubigen trotz der relativ neuen Eigenschaft Kritik zu üben an den Führungstilen ihrer Religionsgemeinschaft, wie ein Haufen Schäfchen trotzdem gehorchen und hinterher trotten.
(Antworten)
(@mysha_de)
Aus Sicht der Kirche war es vermutlich kein Schweigegeld, sondern eine gut überlegte und langfristig angelegte Investition, um möglichen Verdienstausfällen bei Kollekte und Kirchensteuer vorzubeugen, die bei Bekanntwerden dieses “Vorfalls” durch den Imageverlust entstanden wären.
Und außerdem klingt “Stillschweigen im Interesse der Kinder” + “Schmerzensgeld” ja auch viel wohlwollender, als hätte die Kirche der Familie sogar einen Gefallen getan.
Ich könnte kotzen!
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i like it Bild Dir Deine Meinung – so lange Du noch darfst … | Webevangelisten things being at that time im your rss reader
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